„Meine Seele wartet
auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen.“ Ps 130,6
Beim Wort Wächter
denken wohl die meisten von uns an den Stadtwächter, wie wir ihn von alten
Gemälden kennen. Mit der Laterne in der Hand zieht er durch den Ort, um nach
dem Rechten zu sehen. Erst im zweiten Moment fallen moderne Bezüge ein: Der
Türsteher vor dem Club oder der Diskothek, der Leibwächter eines Politikers,
der Nachtwächter in einem Hotel oder einer großen Firma oder im Museum.
Oder sogar Soldaten,
die vor einer Kaserne irgendwo in einem Kriegsgebiet Wache halten müssen.
Doch egal ob es die Wächter
von damals oder von heute sind: All diese Leute warten in ihrer Nachtschicht
auf den Morgen. Und das liegt nicht allein daran, dass am Morgen Wachwechsel
ist oder Dienstschluss. Der Morgen steht für mehr: Der Morgen ist der Moment,
an dem die Gefahren der Nacht gebannt sind. Danach sehnt sich der Wächter. Die
Zeit ist dann vorbei, in der Diebe durch die Straßen huschen, Betrunkene in der
Disko Ärger machen oder der Feind geschützt vom Schatten der Nacht einen
Überraschungsangriff durchführen kann. Der Morgen steht wortwörtlich für den
Anbruch des Tages, für das Licht und die Wärme, das wir zum Leben brauchen. Der
Morgen steht sinnbildlich für klares Sehen und Neuanfang.
Wenn der Psalmbeter
nun sagt, dass seine Seele mehr auf Gott den Herrn wartet als die Wächter auf
den Morgen, dann spricht aus ihm tiefster Glaube. Glaube an den Gott, der noch
viel mehr für das Leben einsteht – nämlich Ewiges Leben! – als das erste
Morgenlicht nach durchwachter Nacht. Der Psalmbeter sehnt sich nach Neuanfang,
nach dem Guten, nach der Teilhabe am Reich Gottes.
Die Adventszeit ist
die Zeit im Kirchenjahr, in der wir diese Hoffnung als bereits erfüllt in den
Mittelpunkt unseres Redens und Feierns stellen: Gott kommt! Aber er kommt
anders als man es vom Allmächtigen erwarten würde. Gott wird in Jesus ein
Mensch. Der Neuanfang ist gemacht. Das feiern wir an Weihnachten: Das Kind in
der Krippe! Mehr aber noch begreifen wir die Bedeutung dieses neuen Morgens,
wenn wir sein Leben weiterverfolgen und von ihm hören als dem Mann am Kreuz und
schließlich in seiner Auferstehung.
Advent und
Weihnachten bedeuten: Gott kommt dir jetzt ganz nahe. Er kommt jedem Menschen
nahe, der sich nicht verschließt. Gott öffnet mit Jesus unsere Herzen, um mit
uns gemeinsam zu warten – auf den Morgen als unser Wächter, was immer die Nacht
auch für Schrecken bereithalten mag.
Marvin Lange, Fulda